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ÜBERSETZUNGSPROGRAMME (Sept. 99)

«Dieses treibt mich Muttern an»

Der Wunsch, Texte automatisch von einer Sprache in eine andere übersetzen zu können, lässt Anwendern wie Programmierern keine Ruhe. In der Softwareherstellung sind zwar Fortschritte erkennbar, doch auf den grossen Wurf wartet man immer noch vergeblich. Unterhaltsam sind die Resultate der jeweiligen Übersetzungsprogramme allemal.

Von Margrit Stucki

«Durchbrechen Sie die Sprachbarriere!» Mit solchen und ähnlichen Slogans werben Softwarehersteller für ihre Produkte. Die angebotenen Übersetzungsprogramme seien in der Lage, bei Verständigungsproblemen rasch und kompetent zu helfen. Zahlreiche Website-Betreiber bieten Übersetzungsdienste an. Einzelne tun dies sogar gratis, etwa der bekannte Internet-Suchdienst Altavista mit seinem Service «Babelfish», welcher Texte und Web-Seiten in Echtzeit zu übersetzen verspricht.
Heerscharen von Software-Ingenieuren und Sprachwissenschaftlern arbeiten derweil an der Weiterentwicklung der maschinellen Spracherkennung und -verständigung. Droht hier die Maschine den Menschen überflüssig zu machen?

Weit vom Menschen entfernt
Nein, der Berufsstand der Übersetzer sei durch die technologischen Entwicklungen in keiner Weise gefährdet, versichert Alexander Burlet, Geschäftsleitungsmitglied der Übersetzeragentur Translingua AG in Zürich. «Sprache ist zu komplex; die Übersetzungsleistungen der Computer liegen immer noch weit hinter denjenigen des Menschen zurück, auch wenn grosse Fortschritte gemacht wurden.»
Dass maschinelle Übersetzungssysteme den Fähigkeiten menschlicher Übersetzer/innen so stark unterlegen sind, hat verschiedene Gründe: Die Programme betrachten in der Regel nur isolierte Wörter oder Sätze und verstehen deren Sinn nicht. Verwickelte Nebensätze oder auch einfache Satzergänzungen können sie völlig ausser Tritt bringen. Auch mit Wortbedeutungen, die sich aus dem Zusammenhang ergeben, hapert es meistens – von den Schwierigkeiten mit Redewendungen, Stilelementen und Wortspielen ganz zu schweigen.
«Ausserdem kann sich eine Maschine nicht in die Wünsche und sprachlichen Gepflogenheiten der Kunden hinein fühlen», ergänzt Alexander Burlet.

Kauderwelsch aus dem Computer
Was Übersetzungsprogramme beherrschen und woran sie scheitern, erfährt man am besten mit der Probe aufs Exempel: Man lege ihnen Variationen von einfachen Sätzen vor, welche mehrdeutige Wörter enthalten, und lasse sie übersetzen. Der Test fördert nicht selten überraschende oder ulkige Resultate zu Tage.
Spassig sind etwa die Übersetzungsversuche zum englischen Ausruf «This drives me nuts!»(«Das macht mich verrückt!»). T1 Professional von Langenscheidt und der Power Translator Pro von Lernout & Houspie meinen hartnäckig, das müsse zu Deutsch «Dies fährt mich verrückt» heissen. Babelfish (Programm von Globalink) radebrecht «Dieses treibt mich Muttern an».
«He took her for a drive» verwirrt fast alle Programme: T1 übersetzt mit «Er hielt sie für eine Fahrt», während der Power Translator und der Personal Translator von Pons vorschlagen: «Er nahm sie für einen Antrieb/einen Elan». Babelfish schiesst mit seiner Interpretation «Er nahm sie für ein Laufwerk» den Vogel ab. Richtig wäre etwa: «Er machte mit ihr eine Spazierfahrt».
Nicht gerade elegant, wenn auch wörtlich richtig, ist die Umsetzung «Die Mutter erzählte dem Kind eine Erzählung» (T1 zu «The mother told the child a story»). Der Power Translator schafft hier eine stilistisch bessere Variante mit «Die Mutter erzählte dem Kind eine Geschichte».

Grundkenntnisse müssen sein
Die Liste mit unsinnigen Sprachgebilden liesse sich verlängern. Doch es ist leicht und auch billig, sich über diese Schnitzer und Stilblüten zu amüsieren. Aufwendiger – und weit weniger lustig – ist es, sich selbst in die Arbeit zu knien. Wer einmal versucht hat sich in einer Sprache mitzuteilen, die ihm nicht liegt, kennt das kräfteraubende Ringen um Worte.
Für Leute, die häufig in einer Fremdprache kommunizieren müssen, kann eine technische Übersetzungshilfe ein durchaus nützliches Instrument sein. «Unsere Software eignet sich besonders gut für die schnelle Übersetzung von Standard-Texten wie Webseiten, Geschäftsbriefe oder E-Mails», sagt Dominik Zingg, Geschäftsleiter der Sotec SA in Nyon, welche den L&H Power Translator Pro in der Schweiz vertreibt. Voraussetzung sei allerdings, dass die Vorlage «korrekt formuliert» sei, «sonst verstehen die Empfänger unter Umständen nicht, was gemeint ist.» Ähnlich wie bei den Diktiersystemen, welche die Sotec in der Pipeline hält, könne sich der Anwender nicht immer so ausdrücken, wie ihm «d’Schnurrä g’wachsä isch».
Für eine gelungene Übersetzung mit maschineller Hilfe ist das Vor- und Nachbearbeiten der Texte meist unumgänglich. Will man Fehler und unpassende Ausdrücke erkennen sowie die nötige Finesse rüberbringen, kommt man nicht ohne Basiskenntnisse in der Zielsprache aus.
Wer Übersetzungsprogramme gewinnbringend bei der Arbeit einsetzen will, sollte sich zudem gründlich mit der Bedienung und den Optionen vertraut machen – etwa um gewisse Fachgebiete (Wörterbücher mit Fachausdrücken) einzustellen oder um Formatänderungen zu bearbeiten.

Übersetzen heisst auch Kultur vermitteln
Mögen Übersetzungsprogramme in der geschäftlichen Kommunikation oder zu Archivierungszwecken (Stichworte) durchaus Nutzen bringen, sind sie für komlexere Bereiche – etwa literarische oder publizistische Texte – unbrauchbar.
Laut Helen Schär, Leiterin des Kinderbuchfonds Baobab, kommt den Übersetzer/innen eine wichtige gesellschaftliche Funktion zu: «Sie sind es, die uns Fenster in ferne Welten öffnen und die Globalisierung im positiven Sinne fördern.» Eine Aufgabe, die ein Computer nicht erfüllen kann.
In der Sprache drücken sich die kulturellen Unterschiede ganz besonders aus. Den Charakter einer Kultur herauszuschälen und in die passenden Worte einer anderen Sprache zu kleiden, ist eine der interessantesten und schwierigsten Aufgaben von professionellen Übersetzer/innen. Welche Nachforschungen sie dabei mitunter anstellen, beschreibt das Editorial zur Übersetzerhomepage des Unionsverlags: «Sie rennen in die Bibliothek, um einen türkischen Seemannsfluch, eine arabische Hirsesorte, ein kirgisisches Steppengras nachzuschlagen. Sie recherchieren im Internet, ob im hohen Norden Kanadas die Häuser mit Bretterwegen oder Knüppelpfaden verbunden sind. Beim Abendessen stehen sie plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf, um ein Wort aufzuschreiben. Soeben ist beim Plaudern eine Vokabel gefallen, die sie schon seit Tagen suchen: Sie spiessen sie auf wie einen seltenen Schmetterling…»