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HERRENMODE (Nov. 99)

Kleider nach Mass

Wer immer noch glaubt, Mode lasse die Herrenwelt kalt, täuscht sich: Gutes Aussehen ist auch unter Männern ein abendfüllendes Thema und der Grund, warum das starke Geschlecht immer mehr Geld für Massgeschneidertes ausgibt.

Von Margrit Stucki

Es naht der Tag der Gerechtigkeit: Der Tag, an dem frau den Mann daran misst, wie originell oder sexy er gekleidet ist. Der Tag, an dem frau dem Mann im knackigen Outfit nachpfeift – vorausgesetzt natürlich, seine Figur ist in Ordnung.
Die Herrenwelt ahnt, was auf sie zukommt: Laut der unübersehbaren Werbeoffensive der Modebranche soll Edles, Ausgefallenes und Raffiniertes flächendeckend über die Männlichkeit kommen. Vielfältig und gewagt präsentiert sich derzeit das Angebot auf dem Markt.
Und die Herren zeigen sich empfänglich für die modischen Lockrufe: «Mein Geschäft läuft sehr gut – das Modebewusstsein der Männer ist in den letzten zwei Jahren stark gestiegen», freut sich der Zürcher Modeschöpfer Hannes Bühler, der seit dreissig Jahren unter seinem Label «Hannes B.» Designermode für Männer entwirft, und auch schon schlechtere Zeiten erlebt hat.

Weg von steifer Eleganz
Die Herrenbekleidung ist nicht mehr, was sie einmal war. Zwar dominiert die Farbe Grau auch in der kommenden Saison. Doch der klassische Anzug wird des schrankförmigen Schnitts, der Schulterpolster und anderer Futter-Elemente beraubt – als ob Mann keine natürlichen Feinde mehr hätte.
Die formelle Kleidung bleibt zwar Teil der Männermode, wird aber nur unter Vorbehalt gekauft: «Männer müssen mehr auf Statussymbole achten und tragen deshalb nach wie vor Anzug und Krawatte. Aber sie wollen es praktischer und bequemer haben», stellt Hannes Bühler fest. Männer wollen für ihr Styling keine grossen Opfer mehr bringen. Wenn man schon einen Anzug trägt, dann muss sich dieser möglichst leicht anfühlen. Wenn überhaupt eine Krawatte umgebunden wird, dann wenigstens locker. Im einschlägigen Modevokabular wimmelt es nur so von Fachausdrücken, die den Trend zum Legeren belegen: Von «Leisure Suit», «Loose-fit», «Casual-Elementen» und «absoluter Bequemlichkeit» ist da die Rede. Der Drang zur Bewegungsfreiheit hat die Herrenmodemacher querbeet erfasst. Sogar in der Business-Mode ist der Ruf nach puristischer Eleganz verstummt.
Ergonomische Schnitte und superleichte Stoffe feiern Hochkonjunktur und stellen die Schneiderzunft vor neue Herausforderungen: Männer wollen die Ärmel hochkrempeln oder den Veston ausziehen können und trotzdem gut aussehen. Die Kleidung soll kein Grund zum Schwitzen sein – geschwitzt wird vorzugsweise beim Gewichtheben oder Biken. Zur grossen Freude der Damen (und Herren) zeigt der Mann einen deutlichen Hang zur Sportlichkeit und will den durchtrainierten Körper dann auch im passenden Look präsentieren.

Grosse Grössen? – Take it easy!
Doch was, wenn der Waschbrett-Bauch einer Kürbis-Silhouette weicht und die sportliche Calvin Klein-Unterhose von einer Speckrolle überdeckt wird? Geraten Männer mit üppigen Körperformen ebenso in Panik wie die unzähligen Frauen, die feststellen müssen, dass Mode für magersüchtige Teenager entworfen wurde? Jein, antworten die Männer: «Das Figurproblem ist bei den Männern weniger akut», sagt Hannes B. und rät Männern mit Übergrössen zu Mass-Geschneidertem und Diskretem.
Bruno Franzen, 57, befolgt diesen Rat seit langem. Der schwergewichtige Unternehmer kleidet sich ausschliesslich in Schwarz «vom Hals bis zur Sohle». Seit 20 Jahren lässt er sich Massanzüge bei «gefühlsmässig ausgesuchten Damenschneiderinnen» fertigen. «Mit meiner Figur kann ich keine Konfektion ab Stange kaufen.» Er trägt’s mit Fassung, verrät aber wehmütig: «Ich bin sehr modebewusst. Poppiges gefällt mir an Männern, aber nur wenn die körperlichen Voraussetzungen stimmen. In meinem Fall zeigt sich Modebewusstsein an dem, was meine Frau trägt».

Mode schafft Persönlichkeit
Lange Zeit war die Herrenmode geprägt von klassischer Strenge und phantasielosem Einheits-Look. Doch jetzt gibt’s Grund zur Hoffnung: Der Mann zeigt Lust auf Individualität. «Ich finde es cool, mich eigenwillig anzuziehen», gesteht der 27-jährige Werbeberater Peter Eisenegger, der gerne Designerklamotten trägt. Gegenüber Frauen fühlt er sich benachteiligt, denn «Frauen haben mehr Auswahl und bei Männern wird modebewusstes Auftreten oft negativ interpretiert». Trotzdem lässt er sich nicht davon abhalten, sein gutes Aussehen mit Kleidern zu betonen und sich auch mal Massgeschneidertes zu leisten: «Gut angezogen sein heisst für mich, die Mode subjektiv dem Typ anzupassen. Professionelle Designer sind in der Lage, den Mainstream in diesem Sinne umzusetzen.» Will heissen: Der moderne Mann möchte seine persönlichen Vorlieben berücksichtigt sehen und trotzdem im Trend sein.
Individualität ist also angesagt. Mit raffinierten Schnitten, grellfarbigen Hemden und transparenten T-Shirts versucht der selbstverliebte Mann die Blicke auf sich zu ziehen. Auch der Spass soll nicht zu kurz kommen. «Ich liebe verrückte Sachen», verrät Hannes Bühler., dessen ausgefallenen Teile zum eigenen Erstaunen tatsächlich gekauft werden. Jüngster Gag aus seiner Kollektion: Eine Hose aus zottiger Wolle im Schimpansen-Look.

Starke Typen im Wickelrock
Dass Männer vermehrt auch Mode-Mut zeigen, beweist etwa die Kundschaft der Modemacherin Sandra Kuratle. Die 33-jährige Designerin hat sich unter dem Label «Amok» ganz auf Männerröcke spezialisiert und verbreitet die luftigen Beinkleider landesweit mit Erfolg. Ihre Kollektion umfasst 35 Modelle – vom eleganten Abendkombi über den Technorock bis zum kessen Mini – und verzeichnet steigende Absätze. Sandra Kuratle lässt den Verdacht, dass der Rockfimmel nur die Memmen unter den Männern befallen könnte, gar nicht erst aufkommen: «Die meisten meiner Kunden sind selbstsichere Kerle zwischen 25 und 35 Jahren. Der Älteste ist 58 und Zahnarzt. Auch Banker und Beamte gehören zu meinem Kundenkreis.» Die gewohnten Elemente der Herrenbekleidung – Gürtelschlaufen, Cargotaschen oder Fivepockets – sorgen dafür, dass der Mann Mann bleibt und im Jupe auch ausserhalb von Nasszonen gut aussieht. Kuratle ist überzeugt, dass sich der Männerrock durchsetzen wird. Sie versteht ihre Kreationen denn auch nicht als kurzlebige Gags.

Qualität kostet
«Massarbeit hat ihren Preis», weiss Monica Laager vom Schweizerischen Modegewerbeverband, «dennoch können Schneiderinnen kaum von ihrem Metier allein leben. Zu unserem Beruf gehört viel Idealismus.»
Für Hannes Bühler sind Qualität und Design untrennbar: «Ich bin ein Qualitätsfreak und lege grossen Wert auf hochwertiges Material und gute Verarbeitung». Ein exklusiver Massanzug koste den Kunden «zwischen 2200 und 2500 Franken – Massnehmen, Extras und Material inklusive.»
Auch Sandra Kuratle beteuert, dass der Erfolg ihrer Herrenröcke auf der hohen Qualität beruhe. Bei Amok ist das Stück für 300 bis 400 Franken zu haben.
Monica Laager möchte den Wert der Couture nicht in Franken messen: «Unsere Kreativität steckt im Realisieren von Kundenwünschen. Auf die Persönlichkeit abgestimmte Kleider können länger getragen, immer wieder ergänzt und aktualisiert werden. So gesehen ist diese Art von Bekleidung auch nicht teuer.»
Wie auch immer der Preis für das neue Modebewusstsein der Männer: Die interessierte Beobachterin schaut hin und freut sich.