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KMU UND WEITERBILDUNG (August 2006)

Kleine lernen lieber informell

Viele Kleinfirmen kümmern sich wenig um planmässige Weiterbildung; langfristig angelegte Bildungsprogramme können sich die wenigsten leisten, denn erworbenes Know-how muss sofort anwendbar sein. Doch die Kleinen beschreiten ihre eigenen Lernwege. Von Margrit Stucki

Individuell und Praxis bezogen
Berufsverbände vorn
Lernen am Grillabend
Kür vor Pflicht

Mikrobetriebe zeigen sich weit gehend resistent gegenüber klassischen Weiter- bildungsangeboten. Je kleiner die Firma desto niedriger die Weiterbildungsinvestitionen, lautet das Lamento der letzten Jahre. Dass es um die Weiterbildung in hiesigen KMU nicht allzu gut bestellt ist, bestätigt auch die repräsentative Studie «KMU und die Rolle der Weiterbildung» von Philipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil und André Schläfli (siehe Kasten). Ein Beispiel: Die Mitarbeitenden in den befragten Firmen bilden sich im Schnitt gerade mal einen halben Tag pro Jahr weiter.

Solche Resultate zeichnen ein bedenkliches Bild des Weiterbildungsverhaltens in der Schweizer Wirtschaft. Immerhin arbeiten in der Schweiz 83,6 Prozent aller Beschäftigten in einem der Klein- oder Mittelbetriebe mit weniger als 250 Personen. 85,6 Prozent der Schweizer Unternehmen sind gar Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Personen. Zu deren Weiterbildungsverhalten existieren noch kaum Untersuchungen. Es ist aber anzunehmen, dass die Formel «je kleiner, desto weniger» auch für die Kleinstbetriebe gilt. Was also lässt sich tun, um die Weiterbildungslust in den Kleinbetrieben zu fördern?

Individuell und praxisbezogen. «Stark differenzieren» heisst die Antwort. Der seit Gene- rationen bestehende Familienbetrieb verhält sich bei der Mitarbeiterschulung radikal anders als die avantgardistische Start-up-Firma. Die allein stehende Millionenerbin kann anspruchsvollere Weiterbildungen belegen als der unterhaltspflichtige Familienvater. Und hoch Qualifizierte sind lern- und risikofreudiger als Personen mit kleinem Schulrucksack. Gerade bei den Kleinbetrieben sind die Strukturen, Budgets, Bildungsniveaus und Firmenkulturen zu unterschiedlich, und die Bedürfnisse folglich zu uneinheitlich, als dass sie sich mit standardisierten Kursangeboten befriedigen liessen.

KMU und Weiterbildung
  • Fast zwei Drittel aller KMU (62%) führten in den letzten 3 Jahren Weiterbildungsmassnahmen für mindestens einen Mitarbeiter durch.
  • Jedoch: 38 Prozent aller KMU taten in den letzten 3 Jahren überhaupt nichts punkto Weiterbildung.
  • 50% aller KMU planen nichts für die Weiterbildung in ihren Budgets ein.
  • Dennoch beteiligen sich 32 % vollumfänglich und 40 % teilweise an den Weiterbildungskosten ihrer Mitarbeitenden.
  • Bloss 13 % aller Betriebe verfügen über ein schriftlich festgelegtes Weiterbildungsprogramm. 

Quelle:
Philipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil und André Schläfli: «KMU und die Rolle der Weiterbildung», h.e.p. Verlag Bern 2005.


Es liegt an den Bildungsanbietern, diese Vielfalt zu erkennen und flexibel darauf zu reagieren. Kleinbetriebe zeigen sich punkto Weiterbildung äusserst wählerisch, denn Kursflops können sie sich nicht leisten. Sei es, weil sie nur schwer auf Mitarbeitende verzichten können, die einen Teil ihrer Arbeitszeit für Weiterbildung aufwenden. Oder sei es, weil sie das knappe Budget lieber in die Modernisierung der Infrastruktur investieren als in die Qualifikation von Mitarbeitenden. Am wenigsten aktiv in Weiterbildungsmassnahmen sind denn auch Branchen mit hoher Fluktuation, etwa das saisonale Tourismusgewerbe. Kurse zu finanzieren für Angestellte, welche die Firma in wenigen Monaten wieder verlassen, ist schlicht und einfach unrentabel. zurück

Wenn sich Kleinunternehmer für eine Weiterbildung entscheiden, tun sie das meist intuitiv und kurzfristig – quasi aus einer Notsituation, weil sie bei der Arbeit anstehen. «Aus der Not eine Tugend machen» heisst die Leitformel. Das Aneignen von Fachwissen steht dabei als Lernziel an oberster Stelle.

«Der Excel-Kurs, den ich mir vor Jahren leistete, war super», freut sich Schreinerin Christina Kundert, «der Lernstoff ging leicht rein und war direkt anwendbar. Seither verwalte ich mein Budget sicherer und besser.» Kundert führt seit 10 Jahren die Rundumholz GmbH, Schreinerei und Laden für Holzhandwerk – seit 2002 mit der Angestellten Claudia Furrer, ebenfalls gelernte Schreinerin.

Auch Hanspeter Schnüriger, Koch und Wirt im Restaurant Exer, weiss Kurse mit hohem Praxisbezug zu schätzen: «Vom berufsbegleitenden Betriebsführungskurs habe ich enorm profitiert. Vor allem weil die vermittelten Fächer realen Anforderungen entsprachen und die Lerninhalte sofort umsetzbar waren.»

Berufsverbände vorn. Kleinunternehmer bevorzugen klar Berufsverbände als Bildungs- partner. An zweiter Stelle auf der Hitliste der Wissensvermittler stehen Arbeits- und Berufskollegen. Private und öffentliche Institute werden mit Vorliebe zum Erlernen von Sprachen und kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Kompetenzen berücksichtigt. Manchmal kommen auch Partnerfirmen und Lieferanten zum Zuge, vor allem weil sie ihre Schulungen – beispielsweise zum Vorstellen neuer Produkte – gratis anbieten. Die Wahl gewinnt in der Regel die Instanz mit dem günstigsten Preis-Leistungsverhältnis.

«Wir müssen über Automarken, neue Modelle und Fahrzeugelektronik Bescheid wissen», erklärt Guido Zuber, Gründer und Geschäftsleiter der Autohilfe Zürich. Als Vorstandsmitglied des Brachenverbandes ASS (Autostrassenhilfen der Schweiz) organisiert er fachspezifische Kurse für seine 42 Mitarbeitenden gleich selbst. Von den Versicherungen, die eigentlich an gut qualifizierten Pannen- und Abschleppdiensten interessiert sein müssten, ist er enttäuscht: «Die machen nichts, obwohl sie jede Automarke rückversichern, von den Herstellern auf dem neusten Stand gehalten werden und unsere Leistungen letztlich bezahlen müssen.» Grosse Stücke hält Zuber indes auf seine Mitarbeiterin Judith Vago, die sich neben ihren Diensteinsätzen um die interne Weiterbildung kümmert: «Frau Vago ist engagiert und immer am Ball. Deshalb kann sie Neue und Junge bestens motivieren. Als Lastwagenfahrerin und ehemalige TCS-Mitarbeiterin kann sie unsern Leuten wertvolle Erfahrungen weitergeben.»

Neben dem Fachwissen stehen Sprachen hoch im Kurs. Auch lokale Kleinfirmen arbeiten heute mit multikultureller Belegschaft und agieren auf internationalem Parkett. So finanziert Autohilfe-Chef Zuber derzeit einen Deutschkurs für einen neuen Mitarbeiter – «das hat in unserer 37-jährigen Firmengeschichte Tradition», verrät der umsichtige Patron.

«Zweimal im Jahr besuche ich Textilmessen im Ausland», erzählt die Modedesignerin Sandra Kuratle, Besitzerin des Modelabels Amok. «Zudem habe ich mit Stofflieferanten aus verschiedensten Ländern zu tun. Das Beherrschen von Fremdsprachen ist für mich unerlässlich.» zurück

Informelles Lernen am Grillabend. Thomas Hof, Teilhaber des 10-köpfigen Reisebüros Trottomundo betont, wie wichtig der Austausch unter gleich Gesinnten ist: «Unsere Mitarbeitenden müssen offen, an Geografie und gesellschaftlichen Entwicklungen interessiert sein sowie gut zuhören können. Fähigkeiten, die weniger im Kurszimmer als am gemeinsamen Grillabend oder Bouleturnier erworben werden.» Manchmal erwirbt man eben Sozialkompetenzen, ohne sich dessen bewusst zu sein – ein Vorteil für die Firmen, ein Nachteil für Bildungsinstitute mit einschlägigen Angeboten.

Die «Völker verbindenden» Anlässe der beiden Trottomundo-Chefs Thomas Hof und Attilio Ongaro sind jedenfalls legendär, das über 26 Jahre gewachsene und gepflegte Beziehungsnetz gross und Welt umspannend. Laut Hof eine der Voraussetzungen, um im harten Reisegeschäft zu überleben.

Exer-Wirt Hanspeter Schnüriger doppelt nach: «Das Gastgewerbe lebt davon, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen. Meine Partnerin Corina Mazzocco ist in dieser Disziplin einsame Spitze. Unsere besten Kunden fühlen sich bei uns zuhause und erzählen uns alles. Dafür sind wir ein derart eingespieltes Geschäftspaar, dass wir uns ohne Worte verstehen.»

Auch Robert Stolz, Inhaber des 1984 gegründeten Fahrradbau Stolz, zählt auf den Wissenstransfer unter Verbündeten: «Der intensive Austausch innerhalb des Betriebs und mit befreundeten Velohändlern ist mir sehr wichtig. Künftig möchte ich hierfür mehr Zeit investieren. Denn vom Lernen im Team profitiert man am meisten.» zurück

Informelles Lernen am Arbeitsplatz
Philipp Gonon, Professor für Berufsbildung an der Universität Zürich, charakterisiert informelles Lernen am Arbeitsplatz wie folgt:
  • Keine unmittelbare pädagogische Intention: aus Arbeitshandlungen ergeben sich als «Nebenprodukt» erwünschte Kenntnisse und Haltungen.
  • Keine systematische, professionell-pädagogische Interaktion: Kenntnisse und Haltungen werden im Arbeitsprozess, mit Medien oder im Umgang mit Arbeitskolleginnen und -kollegen erworben.
  • Lernen basiert auf Arbeitserfordernissen und ist weder fachsystematisch noch institutionell organisiert.
  • Lernen erfolgt nach individuellen und häufig selbst organisierten Gesichtspunkten.
  • Lernziele sind nur teilweise bekannt oder erst im Nachhinein als solche identifizierbar, das Lernergebnis kann jedoch sichtbar gemacht werden. 

Quelle:
Philipp Gonon, Stefanie Stolz (Hrsg.): Betriebliche Weiterbildung., h.e.p. Verlag Bern 2004.


Meister im Learnig-by-doing. Als Hauptgrund für kontinuierliches Lernen nennt Velobauer Stolz «die Ambition, immer an vorderster Front zu sein». Im Radbusiness scheint dies zu gelingen: «Gewisse Weiterbildungen gibt’s für uns gar nicht. Denn wir lösen die Spezial- probleme unserer Kunden oft als erste. Nach erfolgreichem Tüfteln fragen uns dann andere Velomechaniker um Rat», schmunzelt Robert Stolz.

Ähnliches wissen Regula Stutz und Jacqueline Hodel zu berichten, die vor 6 Jahren die Seifenmanufaktur Swisstag gründeten: «Mit der Seifensiederei haben wir in der Schweiz etwas Neues aufgezogen. Da es nichts Vergleichbares gab, machten wir uns schlau in ausländischer Fachliteratur und auf einschlägigen Websites. Die praktischen Fertigkeiten eigneten wir uns durch Ausprobieren an.» Derzeit befindet sich das Unternehmerinnen-Duo in der Aufbauphase eines neuen Geschäfts: The Pie Shop. Auch das Imbissladen-Projekt des Duos Stutz und Hodel ist eine Schweizer Novität.

Lernen nach dem Trial-and-Error-Prinzip ist bei innovativen Jungunternehmern mehr Regel als Ausnahme. Die Beteiligten führen in ihren Projekten immer wieder Routinearbeiten mit neuen Entdeckungen und Erfahrungen zusammen. Betriebliches Wissen eignen sie sich häufig unkonventionell an und geben es entsprechend weiter, wobei das Lernen in interaktiven und kollegialen Bahnen abläuft. Dazu nutzen sie mit Vorliebe das Internet als schnelles, günstiges Kommunikationsmedium.

Kritisch wird es, wenn sich Kleinbetriebe vom chaotischen Haufen (jeder macht alles) zum etablierten Unternehmen entwickeln. Bei wachsender Mitarbeiterzahl müssen Ablauf- und Lernprozesse stärker strukturiert und formalisiert werden. Hier schlägt die Stunde der Weiterbildungsanbieter: Sie verfügen über die Infrastruktur, die Dokumentation und das didaktische Know-how, um die Firmenleitungen beim Finden und Umsetzen passender Lernformen zu unterstützen.

Kür vor Pflicht. Selbständige und Jungunternehmer legen grossen Wert auf Freiwilligkeit. Zumal sie als Gründer gewohnt sind, auf eigene Verantwortung Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Kommt hinzu, dass sie ihre Lernumgebung häufig selbst gestalten und hierzu individualisierte Lernstrategien erfinden. Verordnete Weiterbildung kommt hier selten gut an.

«Lieber besuche ich einen Astrologie-Kurs, der mich interessiert und in meiner persönlichen Entwicklung weiter bringt, als dass ich mich mit technischen Instruktionen abquäle», gesteht Renate Stucki, die vor gut zwei Jahren den Waschsalon Anker übernahm. Sprachs, und lagerte die Wartung ihrer Maschinen an technisch Versiertere aus. Bevor sie zur Einfrau-Waschsalonbetreiberin wurde, hatte sie eine über 25-jährige Karriere als kaufmännische Angestellte durchlaufen. Als schlechteste Weiterbildungserfahrung beschreibt Stucki einen Standortbestimmungskurs, der ihr als Stellenlose vom RAV aufgezwungen wurde: «Der Kursleiter, Abgesandter einer privaten Consulting-Firma, redete permanent nur von sich. Er konnte nicht auf die einzelnen Teilnehmenden eingehen und speiste uns mit veralteten Standard-Fragebögen ab, die man auch zuhause hätte ausfüllen können.»

Robert Stolz erinnert sich mit unguten Gefühlen an seine 5 1/2-tägige Weiterbildung zum Lehrmeister, welche er vor acht Jahren bei einem privaten Anbieter absolvierte: «Eine reine Pflichtübung. Die Veranstaltung fand auf tiefstem Niveau statt, war flach und brachte keine anwendbaren Erkenntnisse. Ich langweilte mich zu Tode.»

Fast identisch tönt es, wenn Christina Kundert ihren Fortbildungskurs zur Arbeitsvor- bereiterin beschreibt: «Um in meiner Schreinerei Angestellte zu beschäftigen, wurde ich von offizieller Seite angehalten, diesen 2-jährigen Lehrgang zu absolvieren. Nebst den hohen Kosten ärgert mich bis heute, dass der vermittelten Stoff rein gar nichts mit meinem Geschäft zu tun hatte. Andererseits war ich auch zu unmotiviert um mich mit dem theore- tischen Hintergrund von Administration und Arbeitsplanung zu beschäftigen.»

Wesentlich besser als standardisierte Kurse kommen heute Bildungsangebote an, welche die Experimentierfreude und selbstverantwortliches Lernen in der Gemeinschaft fördern. Kleinunternehmer schätzen etwa die so genannten Lernateliers, wo sie mit professioneller Unterstützung und zusammen mit gleich Gesinnten an ihren eigenen Projekten arbeiten. zurück

«Das Lernatelier ist für mich auch eine Kontaktbörse», berichtet der selbständige Webpro- grammierer Jürg Messmer, «man hilft und lässt sich helfen. Atelier-Leitende haben nicht für alle Zeit und können nicht immer alles wissen. In solchen Fällen springen Atelier-Teilneh- mende in die Lücke. Das war für mich jedes Mal ein schöner, spannender Abend, an dem man auch bekannte Gesichter treffen konnte.»

Genau hinschauen lohnt sich für alle Beteiligten, denn in Kleinstunternehmen sind Weiterbildungsmassnahmen deutlich besser aufgehoben als in Grossbetrieben: Die Kleinen setzen das erworbene Know-how schneller, direkter und sichtbarer in die Praxis um, da sie flexibler sind und einfachere Abläufe sowie kürzere Kommunikationswege aufweisen. Weil sie sich keine Fehlinvestitionen leisten können, wird auch ihr Feedback ungeschminkt kritisch daherkommen – und für die Anbieter entsprechend wertvoll sein.

KMU in Zahlen: Betriebszählung September 2005
  • Knapp ein Sechstel der Arbeitsstätten erbringt Dienstleistungen für Unternehmen: Von den registrierten 377'600 Arbeitsstätten waren 301'800 (79,9%) im Dienstleistungssektor und 75'800 (20,1%) in der Industrie und im Gewerbe angesiedelt. Am meisten Arbeitsstätten – insgesamt 60'600 bzw. 16 Prozent des Totals – verzeichnete der  Wirtschaftszweig der Dienstleistungen für Unternehmen (einschliesslich Forschung und  Entwicklung).
  • Das Gesundheits- und Sozialwesen war der beschäftigungsmässig bedeutendste Tätigkeitsbereich im sekundären und tertiären Sektor.  Dieser Wirtschaftszweig zählte 433'000 Beschäftigte (11,7% des Totals) und verzeichnete eine der stärksten Beschäftigungszunahmen (+9%).
  • 323 '300 Arbeitsstätten (85,6%) hatten weniger als 10 Beschäftigte. 1'000 Arbeitsstätten (0,3%) zählten mehr als 250 Beschäftigte Die kleinen und mittleren Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten machten im Jahr 2005 somit 99,7 Prozent aller Arbeitsstätten aus. 

Quelle:
Bundesamt für Statistik, Betriebszählung von Ende Sept 2005. Medienmitteilung vom 27.Juni 2006