Im Zeitalter von Internet und E-Mail steigt die Menge der täglich zirkulierenden Nachrichten dramatisch an. Galten bisher Informationen als wertvolles Gut, von dem man nie genug erhalten kann, fühlen sich heute immer mehr Berufstätige von der wachsenden Datenflut überfordert.
Von Margrit Stucki
Telefon, Fax, Post, Zeitungen, Radio, Fernsehen, Web, E-Mail, SMS: Die Zahl der Nachrichtenübertrager, die heute den Arbeitsalltag begleiten und beeinflussen, ist riesig. Informationen sind der Schlüssel zum Erfolg, tönt es landauf-landab. Mit Informationen werden Konkurrenzvorteile gesichert, Geschäfte gemacht und Machtverhältnisse geregelt. Die Computerbranche mischt kräftig mit und bringt laufend neue Produkte auf den Markt, mit denen sich noch mehr Informationen verbreiten und empfangen lassen. Sogar der Bundesrat bezeichnet in seinen Strategiepapieren zur Reform der Bundesverwaltung die Anwendung der neuen Kommunikationstechnologien als «grosse Chance».
Doch die Misstöne im Hohelied auf die Informationsgesellschaft mehren sich. Manche Erwerbstätige werden mit der Belastung durch die Datenflut nicht mehr fertig.
Mediales Chaos
Die neuen Kommunikationsmedien erlauben es, Nachrichten zu übermitteln ohne die Empfänger direkt erreichen zu müssen. Mailboxes und Faxgeräte stehen rund um die Uhr zur Annahme eingehender Mitteilungen bereit. Diese an sich erfreuliche Tatsache zeigt bei näherem Hinsehen ihre Kehrseite: Für die Angestellten wird es immer schwieriger, Ordnung ins News-Chaos zu bringen. Denn selbst abgebrühte Strategen sind überfordert, wenn das Nachrichtenaufkommen zu gross ist oder unregelmässig über den Tag verteilt aufkommt.
Eine 1997 veröffentlichte Studie des englischen Institute for the Future (IFTF) entlarvte die Kommunikationsmittel als Quelle ständiger Arbeitsunterbrüche. Die befragten Angestellten der 1000 bedeutendsten englischen Unternehmen gaben an, durchschnittlich 169 Mitteilungen täglich via E-Mail, Telefon und Fax zu erhalten und zu senden. Nur noch 28 Prozent der Nachrichten kommen in Papierform an, 78 Prozent elektronisch. Im Schnitt verständigt sich der einzelne Mitarbeiter täglich mit 24 Menschen und benutzt dazu verschiedenste Medien.
Unter dem ständigen Hin- und Herschalten zwischen den Informations- und Kommunikationsmedien leidet die Aufnahmefähigkeit der Benutzer. Die Elektronik kommt mit diesem «Multitasking» problemlos zurecht, nicht aber der Mensch, der bei Dauerbelastung mit Ausfallerscheinungen reagiert. Mit der Zeit kann er die Informationen nicht mehr richtig analysieren und trifft Fehlentscheidungen.
Doch nicht nur die Informationsmenge, sondern auch die Art wie sie anfällt, ist mancherorts zum Problem geworden. So kommt es häufig vor, dass dasselbe E-Mail mehrmals an die gleiche Empfangsadresse geschickt wird in der Hoffnung, die Mitteilung werde schneller behandelt. Besonders unbeliebt machen sich Absender, die sich nach dem Absenden telefonisch erkundigen, ob die elektronische Post angekommen sei.
Kaum Zeit zum Nachdenken
Mehrmals täglich werden Angestellte bei der Arbeit unterbrochen, müssen ihre Prioritäten neu setzen und Pläne über Bord werfen. Unerwartete Telefonanrufe reissen sie immer wieder aus der Konzentration. Um sich den häufigen Störungen zu entziehen, kapseln sich viele zeitweise ab und sind nur noch indirekt erreichbar, sei es über Mailbox oder Post-it-Notiz. Manche finden erst nach Feierabend die Ruhe zum Nachdenken.
Auch Regula Rebecchi, PR-Mitarbeiterin des Eidgenössischen Personalamtes (EPA), muss für Konzentrationsarbeiten «Lücken» finden: «Ich kenne Zeiten, in denen es ruhiger ist, etwa frühmorgens oder während der Schulferien». Sie erhält täglich unzählige Telefonanrufe, «doch das gehört zu meiner Funktion und verbessert die Kontakte.» Sie bedauert, dass die bilaterale Kommunikation unter dem Einzug der neuen Computertechnologien leide. Ihr persönliches Informationsmanagement habe sie aber meist im Griff.
Die IFTF-Studie ergab, dass Sachbearbeiter weit weniger über Informationsüberlastung klagen als Manager. Die Mehrheit der Sachbearbeiter empfindet Informationen als Bereicherung und persönliche Herausforderung. Im Gegensatz dazu fühlen sich über die Hälfte der Manager nicht mehr in der Lage, mit der Informationsflut zurecht zu kommen.
Hassliebe zum Internet
Im ganzen Nachrichtengefüge nehmen das World Wide Web und die elektronische Post eine Sonderstellung ein. Sie sind die am schnellsten wachsenden Kommunikationszweige, aber auch die umstrittensten. Ihre orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit wird zwar geschätzt, heizt die Informationsflut aber geradezu an.
Das Internet ist inzwischen als unerschöpfliche Datenquelle schon so etabliert, dass es schon deshalb genutzt wird, weil alle anderen es auch tun. Doch im Netz sammeln sich nicht nur spannende und nützliche, sondern auch unwahre und wertlose Informationen. Die enorme Informationsmenge, die über das Web abrufbar ist, erschwert die Eingrenzung der brauchbaren Auskünfte. Will man etwa bei www.sear.ch etwas zum Stichwort «Alzheimer» erfahren, meldet der Suchdienst rund 1800 Treffer allein in der Schweiz.
Die Software-Industrie verspricht immer wieder neue Techniken zur Lösung des Problems der Datenüberflutung. Von «intelligenten Agenten» ist die Rede, die nur jene Informationen heraussuchen sollen, welche die Benutzer wirklich wollen. Doch wem gelingt es schon, diese Wünsche exakt zu definieren? Auch die Portale die Startseiten der Browser dienen dem Zweck, den Zugang zur virtuellen Welt individuell zu gestalten. Viele Portale sind aber inzwischen zu aufdringlichen Werbeträgern verkommen.
Wie wenig die Technik das Problem zu lösen vermag, beweist der Alltag jener Unternehmen, die alles erst möglich gemacht haben. Just bei der Firma Microsoft, deren Chef Bill Gates stets die Vorzüge von Internet und E-Mail anpreist, sind über 100 E-Mails pro Mitarbeiter und Tag keine Seltenheit. Die meisen Meldungen werden nur «zur Kenntnis» zugestellt und landen ungelesen in der Versenkung.
Eine Frage der Organisation
Dass nicht nur die Computerindustrie und das Internet zur Informationsüberflutung beitragen, zeigt das Beispiel des Börsenhandels. Durch die Globalisierung der Märkte ist die Arbeit der Börsenhändler zum 24-Stunden-Job geworden. Schliesst in New York die Börse, geht es zwei Stunden später in Tokio wieder los und sieben Stunden danach in Europa. Überall entstehen Informationen, die es zu berücksichtigen gilt. «Am Ball bleiben heisst auch das zeitliche Angebot erweitern», bestätigt eine Mitarbeiterin der Bank Vontobel in Zürich. «Unsere Händler sind im Schichtbetrieb so organisiert, dass alles abgedeckt ist. Auch das Natel gewährt den 24-Stunden-Betrieb und so manche Überstunde.»
Die Mittel zur Eindämmung der Nachrichten sind bislang weniger erfolgreich als diejenigen zum Sammeln. Doch in vielen Betrieben ist die Info-Euphorie bereits einer grossen Skepsis gewichen. Über kurz oder lang wird sich deshalb auch bei den Informationsangeboten die Spreu vom Weizen trennen.