Die Computerisierung der Arbeitswelt zeigt ihre Schattenseiten: Manchen Angestellten bereitet die rasante Entwicklung der Technologien schlaflose Nächte. Die Angst, wegen mangelnder Informatikkenntnisse ins berufliche Abseits zu geraten, nimmt zu.
Von Margrit Stucki
Seit Millionen von Arbeitsplätzen mit Computern ausgerüstet und die Rechner mit unzähligen Funktionen versehen werden, mehren sich die Klagen von Angestellten, die sich im elektronischen Dschungel nicht mehr zurechtfinden. Dabei gilt die Kritik weniger den Technologien selbst. Vielmehr werden betriebsinterne Fehlabläufe und Mängel in der Wissensvermittlung für Schwierigkeiten im Umgang mit der Elektronik verantwortlich gemacht.
Verschiedene Untersuchungen belegen, dass immer mehr Zeit für das Aufspüren und Beheben technischer Probleme aufgewendet werden muss, derweil die eigentlichen, fachbezogenen Aufgaben liegen bleiben. So fand etwa das Harris Research Centre in London anlässlich einer 1997 durchgeführten Studie heraus, dass die 400 befragten Angestellten an PC-Arbeitsplätzen im Schnitt drei Wochen der jährlichen Arbeitszeit benötigen, um Fehler zu beheben oder die benutzten Programme überhaupt zu verstehen.
Schwere Zeiten für Computernüsse
Wer kennt sie nicht, die ärgerlichen Momente, in denen der Computer auf eingegebene Befehle mit skurrilen Fehlermeldungen anstatt mit der Ausführung des Auftrags reagiert? Während solche Situationen routinierte Anwender/innen kaum beunruhigen können, bringen sie Leute ohne technisches Flair oft an den Rand der Verzweiflung. Da diese bei Computerproblemen besonders häufig anstehen, versuchen sie die Arbeit am PC wann immer möglich zu vermeiden. Genau das Gegenteil wäre angesagt, findet der Berner Arbeitspsychologe Jürg Baillod: «Freude entsteht durch Tun. Leute mit einer Computerhemmung sollten merken, dass der Rechner nur eine dumme Maschine ist. Meist haben ihre Schwierigkeiten mehr mit psychologischen als mit intellektuellen Barrieren zu tun.» Um positive Erfahrungen machen zu können, wäre laut Baillod ein aufbauendes Coaching durch versiertere Arbeitskollegen nötig.
Doch die Bereitschaft zu solchen Unterstützungsleistungen nimmt rapide ab. Zwar haben viele Unternehmen ein Netz von Superusern aufgebaut, dieses dient aber vor allem der Entlastung der EDV-Abteilungen. Zudem können gestresste Berufsleute kaum noch Geduld für ihre hilfsbedürftigen Kolleg/innen aufbringen.
«Arbeitnehmer müssen auch mit weniger komfortablen Settings umgehen können. Für ihre Arbeitsmarktfähigkeit sind sie selbst verantwortlich, nicht das Unternehmen», mahnt die Laufbahnberaterin Eva Meili. Für unbedarfte Benutzer/innen werde es sehr eng auf dem Arbeitsmarkt: «Im kaufmännischen Bereich gibt es immer weniger Stellen, wo man mit rudimentären Kenntnissen und Abwehrhaltung Bestand haben kann.»
Doch auch versiertere Benutzer/innen fürchten um ihre Jobs, sind doch die Rationalisierungsmöglichkeiten der elektronischen Hilfsmittel noch längst nicht ausgeschöpft.
Angestellte im Lernstress
Die Sorge um den Arbeitsplatz und der Wunsch beruflich à jour zu bleiben führt zu einer enormen Nachfrage bei den Informatik-Schulen. Unaufhaltsam steigen die Teilnehmerzahlen bei den Computerkursen. Verstärkt wird dieser Trend durch die hohe Werbepräsenz der Computerindustrie, die in ihren Inseraten schnelle Lernresultate verspricht.
Wer beruflich Erfolg haben will, muss sich auf dem Gebiet der neuen Technologien laufend weiterbilden, lautet der Tenor. Dabei werden die Qualität und der Nutzen der Kursangebote wenig hinterfragt. Wer sich aber genau überlegt, welche Lernanstrengungen Sinn machen, kann viel Zeit und Energie sparen. Nicht immer sind nämlich Zusatzqualifikationen im Internetbereich zwingend nötig, um beruflich am Ball zu bleiben. Oft genügen auch gute Kenntnisse in den gängigen Anwenderprogrammen.
«Büroangestellte sind zu sehr auf das Bedienen der Programme fixiert», findet Hans-Peter Hauser, Leiter der Berufsschule für Erwachsenenbildung des Kantons Zürich, «dabei sollten sie lernen, wie man die Arbeit mit Hilfe der Systeme besser organisiert». Die Folgen der einseitigen Sichtweise seien schnelle Pfuschwerke und enorme Abhängigkeit vom Support. Übereinstimmend mit andern Bildungsexperten erkennt er etliche Mängel bei der KV-Lehre: «Es überrascht mich immer wieder, wie wenig Informatik-Kompetenz kaufmännisch Ausgebildete mitbringen». Er räumt aber ein, dass das Lernen «on the job» für das berufliche Fortkommen wichtiger sei als die Grundausbildung. «Lernen auf Vorrat funktioniert nicht» bringt es die Soziologin Margret Bürgisser auf den Punkt, «Computerfertigkeiten wollen wie das Klavierspielen regelmässig geübt sein.»
Mancherorts wird jedoch die Bereitschaft zu kontinuierlichen Anpassungsleistungen arg strapaziert. Es erstaunt, wie selbstverständlich Betriebe in Kauf nehmen, dass sie oft fehlerhafte und unausgereifte Systeme von den Lieferanten bekommen. Einige Firmen sind zudem vertraglich derart an die Hersteller von Hard- und Software gebunden, dass sie jeden Entwicklungsschritt mitmachen müssen. Die Folgen tragen die Angestellten: Sie müssen in kurzen Abständen neue Programme lernen, ohne die Möglichkeiten früherer Versionen ausgeschöpft zu haben.
«Vor allem Arbeitnehmerinnen haben Mühe mit dem ständigen Nachrüsten der Systeme», weiss die Erwachsenenbildnerin Melanie Tschofen, «Frauen wollen meist mehrere Dinge nebeneinander erledigen und nehmen sich keine Aus-Zeit zum Lernen und Üben. Sie sind es weniger gewohnt, sich auf eine Sache zu konzentrieren.»
Ebenfalls zu Lasten der Frauen gehe die Art, wie sich die Sekretariatsarbeiten durch die neuen Technologien verändert haben: «Manche Sekretärinnen erhalten etwa die Korrespondenz nicht mehr nach Stichworten, sondern ausformuliert in elektronischer Form. Ihre Sprachkompetenz ist nicht mehr gefragt. Vermehrt werden sie aber zu Routinearbeiten wie gestalterischem Finish, kleinen Korrekturen und Adressieren herangezogen.»
Auch diese Zunahme der repetitiven Arbeiten schmälert die Motivation, laufend Updates mitzumachen.
Stolpersteine im Informatikprojekt
Mit der Einführung einer neuen EDV verknüpfen Unternehmen meist hohe Erwartungen an die Steigerung der Produktivität. Doch in vielen Fällen zahlen sich die hohen Investitionen nicht oder erst nach Jahren aus. Für den Arbeitspsychologen Oliver Strohm ist der Erfolg von Informatikprojekten in erster Linie von zwei Faktoren abhängig: «Vom aktiven Einbezug der Anwender und den Investitionen in die systematische Ausbildung des Personals. Beide Faktoren werden leider oft vernachlässigt.»
In vielen Fällen ist der Misserfolg darauf zurück zu führen, dass das Management wenig über Informatik weiss und deshalb kaum Strategien für die Nutzung der modernen Computertechnologien vorlegen kann.
Um Kosten zu sparen und eigene Fehler nicht eingestehen zu müssen, setzen Führungskräfte vermehrt auf die Eigenverantwortung des Personals. «Früher boten die Unternehmen sorgfältigere Einführungen an», stellt auch Margret Bürgisser fest, «heute ist jeder auf sich selber gestellt. Die Leute müssen sich mit den zentralistischen Entscheidungen der Informatikabteilungen arrangieren.»