LEHRLINGSWESEN (November 2005)
Es ist noch kein Meister ...
... vom Himmel gefallen. Aber aus einer Schulung an der EB Zürich gekommen schon:
Im Kurs für Berufsbildner drücken angehende Lehrmeisterinnen die Schulbank.
Von Margrit Stucki
Kreatives Chaos im Zimmer 216: voll geschriebene Flipcharts, farbige Plakate an den Wänden, haufenweise Schreibzeug und Kursunterlagen auf den Pulten. So bunt wie das Interieur präsentiert sich die Klasse: Unter den 18 Teilnehmenden, welche gerade lebhaft diskutierend von der Pause zurückkehren, sind 16 Berufe vertreten von der Tierarzt-Assistentin über den Koch und die Schuh- macherin bis zum Bootsbauer.
Der Boss war Stift. Gemeinsam ist den Kursteilnehmenden, dass sie mit Jugendlichen zu tun haben und dass sie den Kurs nicht ganz freiwillig besuchen. Denn wer in einem Be- trieb Lehrlinge ausbilden möchte, braucht laut neuem Berufsbildungsgesetz einen eidg. anerkannten Ausweis. Dieser lässt sich an der EB Zürich im fünftägigen Kurs für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner (früher Lehrmeisterkurs) erwerben.
Michael Steiger amtet seit vielen Jahren als Chef des Strassenwesens in einer Zürcher Gemeinde. Seit kurzem gehört die Lehrlingsausbildung zu seinen Aufgaben. «Als ge- branntes Kind trat ich den Pflichtkurs mit einem unguten Gefühl an: Mein eigener Lehr- meister war ein unangenehmer Sturkopf», verrät der Fünfzigjährige. «Doch meine Skepsis verflüchtigte sich schon während der Vorstellungsrunde. Die Freude an der vielfältigen Klassen-Zusammensetzung überwiegt bei weitem.»
Meisterin mit 24. Ähnlich gings Cornelia Schranz, die als 24-Jährige bereits auf eine steile Führungskarriere zurück blickt, in einem Unternehmen, das sich um das Lehrlingswesen im öffentlichen Verkehr kümmert: «Ich brachte drei Jahre Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen mit und hatte einige Dejà-vus. Trotzdem profitiere ich vom breiten Know-how meiner Klassenkameradinnen und Fachdozenten.» Das Gelernte kann sie gleich im Betrieb anwenden, denn als neue Ausbildungsleiterin betreut sie heute 78 Lernende sowie deren Fachlehrer.
Auch die Pflegefachfrau Dragica Peric-Plek ist vom abwechslungsreichen Austausch mit diversen Berufsleuten begeistert: «Die Ideen und Lösungsvorschläge aus unserer Klasse sind ein grosser Gewinn für mich. Der positive Gruppengeist hat mich sehr motiviert.» Vor allem habe sie gelernt, dass sich Probleme besser in der Gruppe lösen lassen: «Wenn ein Lernender zum Beispiel Suchtprobleme hat, kann ich mit der Unterstützung des Teams besser helfen. Und ich kann dafür zu sorgen, dass nicht der ganze Betrieb leidet.»
Vier Führungstypen. Das Thema des Kurstages heisst «Führen von Jugendlichen». Wie man eine heterogene Gruppe von Erwachsenen führt, zeigt der Kursleiter Karl Wüest gleich live: Souverän wechselt er von Theorie-Inputs zu Gruppenarbeiten, von der Einzel-Reflexion zum Austausch im Plenum. Dabei gelingt es ihm, auf alle Fragen und Voten einzugehen ohne das Tagesprogramm zu strapazieren. Auch der Spass hat seinen Platz: «Kari, du siehst heute verdammt gut aus», flattiert Brandschutz-Firmenboss Daniel Keller, als der Fotograf zum Foto-Shooting ansetzt.
Unbeirrt zeichnet der Kursleiter vier Führungsstile auf: laisser-faire, karitativ, autoritär und kooperativ. Danach gilt es, sich selber einzuschätzen und sich anhand eines Fragebogens einem Führungstypus zuzuordnen. Es entsteht eine angeregte Diskussion zur Frage: Wo unterscheidet sich das Testergebnis von meiner gefühlsmässigen Einschätzung?
Jugendliche brauchen Regeln. «Zwischendurch mal Lärm machen schadet nicht. Manchmal lasse ich einen grossen Pfannendeckel auf den Steinboden fallen. Dann hören alle zu», erklärt der Chefkoch Alexander Günther, ein kooperativer und sensibler Mann mit einer gewissen Abneigung gegenüber autoritärer Dominanz. Im Umgang mit seinen Mitarbeitern und Lehrlingen gerät er deshalb oft in einen Zwiespalt: «In meiner Branche herrscht meist ein ruppiger Umgangston. Wenn du hier Jugendliche anleiten musst, kannst du nicht rumsäuseln. Lehrlinge brauchen eine straffe Führung.»
Bianca Giovanelli, Ausbildungsleiterin in einer Tierklinik, hat seit geraumer Zeit Schwierig- keiten mit einer renitenten Lehrtochter: «Welche Grenzen soll ich ihr setzen? Wie bringe ich sie zum Einhalten der Regeln?» Die Klasse bietet spannende Lösungsvorschläge an. Bianca Giovanelli beschliesst, den Tipp eines Kurskollegen umzusetzen: Sie wird der jungen Auszubildenden einen Rollenwechsel verordnen von der Ausführenden zur Kontrollierenden. Damit diese am eigenen Leib erfährt, wie sich die Konsequenz aus nachlässiger Arbeit anfühlt.
Fragen stellen. Wie führe ich ein Qualigespräch? Erst einmal werden konkrete Beispiele zu den von den Lehrlingen geforderten Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen gesammelt. Schnell zeigt sich: Je nach Metier sind die einzelnen Kompetenzen unterschiedlich zu gewichten. Ein Krankenpfleger braucht mehr Sozialkompetenz als eine System- programmiererin. Eine Lehrlingsbeurteilung sollte jedoch immer die gesamten Kompetenzen eines Lehrlings abbilden.
Qualigespräche dürfen auch nicht bloss reine Leistungsmessungen wiedergeben. Da Jugendliche oft Schwierigkeiten haben, sich selbst einzuschätzen (die meisten stapeln zu tief), führt das bei den Lehrlingen zu einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Leistung. Am wertvollsten sind Rückfragen an die Lehrlinge wie «was denkst du darüber?» oder «wie schätzt du deine Fortschritte ein?»
«Im Alltagstrott stellen wir viel zu selten Fragen», lautet denn auch die Erkenntnis, die Chefkoch Alex mitnimmt. Im Kurs habe er gelernt, seine Hemmschwellen zu überwinden und auf die Leute zuzugehen. «Dadurch dass ich zu einer positiveren Umgangsform gefunden habe, kann ich mich und mein Team viel besser motivieren.» Ein Vorteil, der sowohl den Lernenden wie den Ausgelernten zugute kommt.
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